Ideenbüros für deutsche Schulen

Junge Menschen voller Elan und Ideen gründen ein Ideenbüro

Ich hörte zum ersten Mal von einem „Ideenbüro“ dieses Jahr auf einem Fachtag zur Demokratiepädagogik. Der Begriff ließ mich sofort aufhorchen – und was dann folgte, ließ mich nicht mehr los. Kinder, die andere Kinder beraten? Die freiwillig Verantwortung übernehmen, zuhören, mitdenken und kreative Lösungen für Alltagsprobleme finden? Das erinnerte mich an das Buddy-Projekt, das schon vor vielen Jahren Partizipation und soziale Verantwortung von Schüler:innen ins Zentrum rückte. Und so wünsche ich mir viele Ideenbüros für deutsche Schulen.

Inhalt

Wenn Kinder Probleme lösen, auf die Erwachsene nie gekommen wären

Ideenbüros sind strukturell verankert, werden liebevoll begleitet – und lassen Kinder wachsen. Ich habe recherchiert, gelesen, gestaunt. Und je mehr ich über das Konzept herausfand, desto begeisterter wurde ich. Ich hoffe sehr, mit diesem Artikel einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass es schon bald auch in Deutschland viel mehr Ideenbüros gibt. Denn eines ist klar: In jeder Schule schlummern nicht nur gute Ideen – sondern auch Kinder, die sie umsetzen können.

Was ist ein Ideenbüro?

Das Ideenbüro ist ein Schweizer Erfolgsmodell, das Partizipation praktisch werden lässt. Gegründet wurde der Verein Ideenbüro 2005 in Biel. Seither breitet sich die Idee in der ganzen Schweiz aus – und das völlig zurecht.

Ein Ideenbüro ist ein Ort an der Schule, an dem Kinder anderen Kindern helfen: freiwillig, auf Augenhöhe und lösungsorientiert. Meist sind es Schüler:innen aus der 6. Klasse, die einmal pro Woche ein Büro öffnen – ein geschützter Raum mit klaren Abläufen und viel Offenheit. Dort beraten sie Kinder aus den Klassen 1 bis 5, die mit ganz unterschiedlichen Anliegen vorbeikommen: vom Streit in der Pause über die Frage, wie man einen Gruppenstreit löst, bis hin zu kreativen Ideen, wie der Schulalltag verbessert werden kann.

Die beratenden Kinder bringen vor allem eines mit: Erfahrung. Sie kennen die Spielregeln des Schullebens, sie wissen, wie es sich anfühlt, ausgeschlossen zu werden, und sie können sich hervorragend in die Situation der Jüngeren hineinversetzen. Genau das macht sie oft zu besseren Ratgeber:innen als wir Erwachsene es je sein könnten.

Doch das Ideenbüro ist mehr als eine Konfliktsprechstunde: Es ist ein Freiraum, der geprägt ist von Wertschätzung, Vertrauen und Kreativität. Hier entstehen Lösungen, auf die Erwachsene nicht gekommen wären. Und es ist ein lebendiger Ort der Demokratiebildung – im Kleinen wie im Großen.

Wie funktioniert ein Ideenbüro?

Ein Ideenbüro ist nicht einfach ein Raum – es ist eine Haltung. Und doch hat es ganz klare Strukturen, damit Partizipation gelingen kann.

In der Praxis öffnet das Ideenbüro meist einmal pro Woche für eine festgelegte Zeit. Zwei bis drei freiwillige Schüler:innen der 6. Klasse übernehmen den „Bürodienst“. Sie sitzen an einem Tisch – oft sichtbar im Schulhaus – und sind ansprechbar für Kinder aus den jüngeren Klassen. Kommen Kinder mit einem Anliegen, hören sie aufmerksam zu, stellen Fragen und geben dann keine fertigen Lösungen vor, sondern ermutigen zum Mitdenken und Ausprobieren.

Die Themen sind so vielfältig wie der Schulalltag selbst:
🟠 „Meine Freundin redet nicht mehr mit mir – was kann ich tun?“
🟠 „Wir streiten uns immer beim Fußball – wie können wir das lösen?“
🟠 „Wir wünschen uns neue Spiele für die Pause – wie kann man das durchsetzen?“

Die Kinder im Ideenbüro arbeiten mit Ideenkarten, Stiften, Notizblättern oder einfach mit offenem Herzen und klarem Kopf. Ihre Aufgabe ist es nicht, zu richten oder zu bewerten, sondern mit den Ratsuchenden gemeinsam Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Die Erwachsenen bleiben bewusst im Hintergrund – begleiten aber auf Wunsch.

Der Effekt? Beeindruckend. Denn:
➡️ Kinder öffnen sich oft schneller Gleichaltrigen.
➡️ Die Atmosphäre ist angstfrei, wertschätzend und kreativ.
➡️ Die Beratung findet auf Augenhöhe statt – was in schulischen Kontexten leider oft nicht selbstverständlich ist.

Und manchmal entstehen aus dem Ideenbüro ganz neue Initiativen: Eine Mädchengruppe organisiert einen Mädchenmorgen mit Workshops. Kinder sammeln Ideen für den Pausenhof und bringen sie in die SV ein. Manchmal geht es um kleine Streitigkeiten, manchmal um große Visionen. Beides ist willkommen.

Im Zentrum steht die Überzeugung: Kinder sind Expert:innen für ihre Lebenswelt. Und wenn man ihnen die Chance gibt, gestalten sie sie auch.

Ideenbüros und der Buddy-Gedanke

Das Konzept des Ideenbüros erinnerte mich sofort an meine Zeit beim Buddy-Projekt, bei dem ich viele Jahre lang als Trainerin bundesweit unterwegs war. In Berlin nahm damals jede Schule am Buddy-Programm teil – und entwickelte eigene Projekte, die alle unter dem Motto standen:

„Aufeinander achten, miteinander lernen, füreinander da sein.“

Im Zentrum stand die Idee der Peergroup Education: Kinder und Jugendliche übernehmen Verantwortung füreinander, unterstützen sich im Schulalltag und lernen miteinander auf Augenhöhe. Organisatorisch ging der Buddy e.V. später in die Organisation education y über. Die Vielfalt der damaligen Buddy-Projekte war beeindruckend – von Lesebuddys in der Grundschule über Schulhofbuddys, die in den Pausen vermittelten, bis hin zu Sanitäterbuddys, die Erste Hilfe leisteten.

Viele dieser Ideen leben bis heute weiter – und das Ideenbüro knüpft mit seinem partizipativen Ansatz genau dort an. Es ist schön zu sehen, wie sich diese Haltung weiterentwickelt – und wie viel Vertrauen wir den Kindern entgegenbringen dürfen.

Warum ein Ideenbüro an der Schule ein Gewinn ist

Ein Ideenbüro ist weit mehr als ein nettes Zusatzangebot im Schulalltag. Es ist ein echtes Lernfeld für gelebte Demokratie, soziale Verantwortung und selbstwirksames Handeln – und zwar für alle Beteiligten. Wer Demokratiebildung ernst meint, sollte Ideenbüros für deutsche Schulen unbedingt mitdenken. Ideenbüros sind ein großer Gewinne, denn:

Kinder erleben: Ich werde ernst genommen.
Wenn ein Erstklässler mit seinem Problem zu einem Sechstklässler geht und dort ernsthafte Aufmerksamkeit bekommt, entsteht etwas Besonderes: Vertrauen. Die Jüngeren merken, dass ihre Anliegen zählen, dass sie etwas bewegen können – ohne dass sofort eine Lehrerin eingreifen muss. Das stärkt das Selbstwertgefühl und fördert die Fähigkeit, Probleme eigenständig anzugehen.

Beratende Kinder wachsen über sich hinaus.
Die Schüler:innen im Ideenbüro übernehmen Verantwortung – freiwillig. Sie lernen zuzuhören, strukturiert zu denken, Vorschläge zu machen, ohne zu bevormunden. Sie üben Kommunikationskompetenz, Empathie, Problemlösestrategien – Fähigkeiten, die sie ein Leben lang brauchen werden. Und sie merken: Ihre Perspektive ist wichtig. Sie können etwas bewirken.

Das Schulklima profitiert – leise, aber spürbar.
Wenn Kinder sich gegenseitig unterstützen, sinkt die Zahl höher eskalierter Konflikte. Der Umgang wird achtsamer, die Stimmung vertrauensvoller. Kleine Probleme werden früh erkannt und gelöst, bevor sie zu großen werden. Gleichzeitig entstehen Impulse zur Schulentwicklung von innen heraus – von den Kindern selbst.

Und ganz nebenbei entlastet das Ideenbüro auch die Erwachsenen.
Lehrkräfte, Schulsozialarbeitende und Schulleitungen berichten davon, dass viele kleine Konflikte oder Anliegen gar nicht mehr bei ihnen landen – weil sie schon im Ideenbüro gehört und bearbeitet wurden. Und oft kommen die Kinder mit überraschend klugen und kreativen Lösungen zurück.

Das Ideenbüro ist also kein „nice to have“, sondern ein echter Motor für Partizipation und Selbstverantwortung. Es fördert Gestaltungskompetenz, wie es in der Bildung für nachhaltige Entwicklung so schön heißt – und das auf eine Weise, die Spaß macht und wirkt.

Wie ein Ideenbüro eingeführt werden kann

Die positiven Erfahrungen aus der Schweiz zeigen, welches Potenzial Ideenbüros für deutsche Schulen hätten. Doch wie gelingt der Einstieg an einer Schule? Die gute Nachricht: Es braucht nicht viel. Was es braucht, ist vor allem eine Haltung – und Menschen, die den Kindern wirklich etwas zutrauen.

1. Haltung vor Struktur
Der wichtigste Schritt ist, das Projekt nicht als „Schulprogramm“ zu sehen, sondern als Partizipationsraum für Kinder. Wer Kindern zutraut, ihre Probleme selbst zu lösen, ihnen auf Augenhöhe begegnet und offen ist für kreative Ideen, hat schon die wichtigste Grundlage gelegt. Die Strukturen kommen dann fast von allein.

2. Eine erwachsene Ansprechperson
Meist wird das Ideenbüro von einer Lehrkraft oder einer Fachkraft aus der Schulsozialarbeit begleitet. Diese Person sorgt dafür, dass das Büro organisatorisch eingebettet ist, hilft bei der Einführung, begleitet die Kinder bei Bedarf – hält sich aber in der Beratung bewusst im Hintergrund. Denn: Die Bühne gehört den Kindern.

3. Vorbereitung und Schulung der Büro-Kinder
Die beratenden Kinder – in der Regel aus der 6. Klasse – sollten freiwillig mitmachen. In einer kleinen Einführung werden sie auf ihre Rolle vorbereitet: Was ist ein gutes Gespräch? Wie höre ich richtig zu? Und wie gebe ich Anregungen, ohne Lösungen vorzugeben? Schwierigen Situationen, wie kann ich damit umgehen?

4. Raum, Zeit und Material
Das Ideenbüro braucht einen festen Ort – zum Beispiel eine kleine Nische im Schulhaus, einen frei gewordenen Gruppenraum oder eine Ecke in der Bibliothek. Wichtig ist, dass der Raum Ruhe ausstrahlt und klar signalisiert: Hier darf man sich öffnen. Eine feste Bürozeit (z. B. dienstags in der großen Pause) hilft, das Angebot im Schulalltag zu verankern.

5. Werbung und Sichtbarkeit
Gerade in der Anfangsphase ist es wichtig, das Ideenbüro bekannt zu machen: durch Plakate, Besuche in den Klassen, Vorstellungen in der Schulversammlung. Auch ein Logo, eine „Einladungskarte“ oder ein „Postkasten für Ideen“ können das Angebot sichtbar machen. Denn: Nur wer das Büro kennt, kann es auch nutzen.

6. Dranbleiben – aber nicht vereinnahmen
Ein Ideenbüro lebt davon, dass Kinder sich ernst genommen fühlen. Es sollte nicht von außen „verplant“ werden, sondern wachsen dürfen. Die begleitenden Erwachsenen sind dabei eher Gärtner:innen als Bauleiter:innen: Sie gießen, unterstützen – aber lassen die Pflanzen selbst wachsen.

Ideenbüro, Mediation, Klassenrat – wie passt das alles zusammen?

Wenn es an Schulen um Mitbestimmung, Konfliktlösung und Beteiligung geht, tauchen oft ähnliche Begriffe auf: Klassenrat, Schulmediation, Kinderkonferenzen – und eben das Ideenbüro. Doch wie unterscheiden sich diese Formate? Und wie können sie sich gegenseitig ergänzen?

Der Klassenrat ist ein fester Bestandteil im Schulalltag vieler Schulen: Einmal pro Woche kommen die Kinder einer Klasse zusammen, um Themen zu besprechen, Konflikte zu klären und Entscheidungen zu treffen. Im Klassenrat geht es um gemeinsames Aushandeln und demokratische Prozesse innerhalb der Klassengemeinschaft.

Die Schulmediation – oft durch Schüler:innen oder schulische Fachkräfte angeboten – setzt ein, wenn ein Konflikt zwischen zwei (oder mehr) Personen eskaliert ist und ein strukturiertes Verfahren nötig wird, um wieder ins Gespräch zu kommen. Mediation ist klar gerahmt, vertraulich und lösungsorientiert, oft in mehreren Schritten. Die Vorteile der Schulmediation sind offensichtlich.

Das Ideenbüro hingegen bewegt sich zwischen diesen beiden Formaten – und bringt zugleich etwas ganz Eigenes mit. Es ist ein niedrigschwelliger Raum, in dem Kinder ihre kleinen und großen Anliegen einbringen können: ohne Termin, ohne großen Aufwand, aber mit ernsthafter Begleitung. Es ist eine Mischung aus Zuhören, Mutmachen und gemeinsamem Nachdenken – getragen von dem Vertrauen, dass Kinder für ihre eigenen Probleme gute Ideen entwickeln können.

In vielen Schulen bilden sich daraus Kooperationsdreiecke:

  • Der Klassenrat thematisiert Ideen und Konflikte im Klassenverband.
  • Die Mediation greift komplexe Konflikte auf und führt strukturiert zur Lösung.
  • Das Ideenbüro begleitet spontane Anliegen und stärkt Selbstwirksamkeit im Alltag.

So entsteht ein Netzwerk von Beteiligungsformaten, das Kindern echte Gestaltungsmöglichkeiten bietet – von der Alltagssorge bis zur Schulentwicklung.

Und das Beste:
Diese Formate widersprechen sich nicht. Sie ergänzen sich. Sie stärken einander. Und sie fördern eine Schulkultur, in der Demokratie nicht nur gelehrt, sondern gelebt wird.

Fazit: Kleine Ideen, große Wirkung

Was braucht es, damit Kinder Schule mitgestalten können? Einen Raum. Ein paar Stühle. Eine Prise Mut. Und Erwachsene, die loslassen können.

Das Ideenbüro zeigt auf beeindruckende Weise, wie viel in Kindern steckt – wenn man ihnen zuhört. Wenn man ihnen Verantwortung zutraut. Wenn man sie nicht nur fragt, was sie brauchen, sondern auch, was sie beitragen möchten.

Ob es um Konflikte, kreative Ideen oder Schulentwicklungsprozesse geht: Kinder, die im Ideenbüro mitarbeiten oder es aufsuchen, erleben, dass sie etwas verändern können. Dass sie nicht nur Teil des Systems Schule sind – sondern Mitgestalter:innen. Und das ist wohl die wichtigste demokratische Erfahrung überhaupt.

Ich selbst war – und bin – tief beeindruckt von diesem Konzept. Von seiner Schlichtheit. Seiner Wirksamkeit. Und von dem Vertrauen, das ihm zugrunde liegt: Kinder können das.

Darum wünsche ich mir, dass es in Zukunft nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland viel mehr Ideenbüros gibt. Vielleicht schon im nächsten Schuljahr an deiner Schule?

Denn: Wo Kinder ihre Ideen einbringen dürfen, entsteht etwas Großes – selbst wenn es ganz klein anfängt.

Und jetzt? Starte dein eigenes Ideenbüro!

Ich wünsche mir, dass Ideenbüros in deutschen Schulen genauso selbstverständlich werden wie Klassenräte oder Streitschlichterprogramme.Du findest das Ideenbüro genauso inspirierend wie ich? Dann mach den ersten Schritt – und bring das Konzept an deine Schule!

🔸 Sprich mit Kolleg:innen oder der Schulleitung über die Idee.
🔸 Finde eine Ansprechperson aus dem Kollegium oder der Schulsozialarbeit.
🔸 Stell die Idee den Sechstklässler:innen vor – du wirst überrascht sein, wie viele Lust haben mitzumachen.
🔸 Plane eine kleine Schulung, richte einen Raum ein – und los geht’s!

Der perfekte Zeitpunkt zum Start? Das neue Schuljahr. Nutze den Schwung nach den Sommerferien und schaffe einen Ort, an dem Kinder sich gegenseitig stark machen.

Denn: Reden hilft – und Zuhören auch. Das Ideenbüro macht beides möglich.

👉 Hast du schon Erfahrungen mit dem Ideenbüro gesammelt? Oder überlegst du, eins einzuführen? Dann schreib es gern in die Kommentare! Ich freue mich auf den Austausch. 💬

Dann auf viele Ideenbüros für deutsche Schulen !!
Wünscht Christa Schäfer

Hier schreibt:

Aktuelles:

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